Nach den ersten 45 Minuten sahen sich erstaunte Mienen im weiten Wankdorfstadion-Viereck an. Was war denn das? Die Berner Young Boys zeigten einen Auftritt, der so gar nicht zu ihrem bisherigen Saisonstart passen wollte, überall fehlte die letzte Entschlossenheit. Schlimm genug, dass die Berner schlecht spielten, die Luzerner, nach drei Niederlagen in Folge in einer sportlichen Krise, konnten das ausnutzen und gingen nach einem, aus Berner Sicht unnötigen Einwurf, einer schlechten Zuteilung und zwei verlorenen Kopfballduellen früh in Führung. Normalerweise sind die Gelbschwarzen in so einer Situation im Stolz verletzt und drücken auf den sofortigen Ausgleich. Nicht so am Samstagabend. Die Reaktion glich eher Gleichgültigkeit denn Kämpferherz. Und so war die schlechteste Halbzeit der diesjährigen Meisterschaftssaison Tatsache, keine einzige gefährliche Torchance konnten sich die Männer von Gerardo Seoane herausspielen.
Die Worte, die ebendieser Seoane in seiner Pausenpredigt gefunden haben muss, hätte ich gerne mitangehört. Wie das Biest, das sich am Ende des französischen Märchens in den zauberhaften Prinzen verwandelt, transformierten sich die Young Boys in den Verlustpunktlosen Leader und spielten die Luzerner so an die Wand, dass diese nicht mehr wussten, ob sie nun noch in der Realität oder in einer Gruselgeschichte gelandet sind.
Dem Dauerdruck der Hausherren hatten sie jedenfalls gar nichts mehr entgegenzusetzen. Nach einer Reihe starker Aktionen und mächtig viel Abschlusspech, konnte Hoarau mit seiner ersten gefährlichen Aktion endlich ausgleichen. Und als Einwechselspieler Nsame das vermeintlich vorentscheidende 2:1 gelang, fühlte sich manch einer 5 Monate zurückversetzt.
Doch so märchenhaft wie das damalige Spiel ausging, so grauenvoll war das Ende dieses Mal. Die Luzerner kamen in der zweiten Hälfte ganze drei Mal in die Nähe des bedauernswerten von Ballmoos, zwei Mal zappelte der Ball am Schluss im Netz des Berners. Erst hämmerte Schulz einen Sonntagsschuss in den Torhimmel, dann profitierte Knezevic von einem nicht gepfiffenen Abseits gegen Eleke. Das nach einem Lattenschuss entstandene Durcheinander, nachdem der Abpraller beim im Offside-stehenden Luzerner landete, nutzte Knezevic eiskalt aus, er schlenzte den Ball ins offenstehende Gehäuse.
Eine gute Halbzeit reichte dem Schweizer Meister nicht aus; die erste Niederlage der laufenden Saison ist hoffentlich ein Augenöffner, dass es trotz vermeintlicher Überlegenheit in der Meisterschaft schon nicht mehr reicht, wenn jeder auch nur ein paar Prozent weniger Einsatz zeigt.
Die Noten:
von Ballmoos: 4.5 / kein Spiel für den Torhüter, lange Beschäftigungs-, bei den Toren machtlos
Benito: 4 / verliert das Kopfballduell vor dem ersten Gegentor
von Bergen: 4.5 / aber auch dem Chef in der Abwehr gelang es nicht, die drei Gegentore zu verhindern
Camara: 4.5 / gefällt mit seiner unerschrockenen Spielart, findet den Mix zwischen Risiko und Sicherheit aber noch nicht immer
Schick: 4.5 / der Österreicher ist ein guter Ersatz für Mbabu
Moumi: 4.5 / in der ersten Halbzeit lust- und glücklos, in der zweiten Hälfte verbessert, mit Pech im Abschluss
Lauper: 5 / am Vielseitigen Lauper lag die Niederlage nicht, versuchte einiges
Sow: 4.5 / unglücklich in der Verteidigungsarbeit
Fassnacht: 4 / war bemüht, aber ihm fehlte etwas das Spielglück
Hoarau: 5 / immer anspielbar, machte dann auch viel Gutes mit dem Ball. Und seine Wucht beim Kopfballtor ist unerreicht.
Assalé: 4.5 / wirblig, mit guten Ansätzen
Wechselspieler:
Nsame (60′ für Assalé): 4.5 / machte sein Tor, aber mehr kam leider nicht von ihm
Sulejmani (71′ für Moumi): 5 / der Serbe brachte noch mehr Schwung und Unberechenbarkeit ins YB-Spiel
Aebischer (81′ für Fassnacht): zu kurz für eine Bewertung