Ilja Kaenzig oder neue Besen kehren auch

Neue Besen kehren bekanntlich gut. Es gibt aber auch neue Besen, die in erster Linie viel Staub aufwirbeln, bevor sie mit dem eigentlichen Kehren beginnen…

Ilja Kaenzig steht im Moment im Kreuzfeuer der Medien, der Fans, der „Sachverständigen“ und der selbsternannten Experten des hiesigen Fussballgeschäfts.

Es war ein grosser Knall im vergangenen Sommer, als YB von heute auf morgen den beliebten Stefan Niedermaier durch Ilja Kaenzig ersetzte. Noch viel befremdlicher war die Pressekonferenz der Investoren, als man (zum ersten Mal seit langem) mal wieder etwas von Herrn Oertig hörte – und als dieser auch noch über drittte Phasen, langfristigen Erfolg und Augenhöhe mit europäischen Topklubs schwadronierte, war der bescheidene Berner Fussballfan ziemlich vor den Kopf gestossen. Längerfristige Erfolge? Wäre es nicht an der Zeit, überhaupt einmal einen messbaren (ein Stadion bauen, den Uhrencup gewinnen und einen Doumbia teuer verkaufen gehören nicht dazu…) Erfolg zu erringen?
Es schien, als wäre diese PK im Frühjahr geplant worden, als YB noch als Meisterkandidat #1 gehandelt wurde und niemand hätte in der Zwischenzeit gemerkt, dass man auch in der Saison 2010 keinen Pokal stemmen durfte…

Dazu schien die Personalie Kaenzig so gar nicht ins gemächliche Bern zu passen. Als dazumal amtierender Blick-Sportchef hatte man seine Kolumnen über/gegen YB noch present, in welcher er eher negativ über den Verein/den Trainer/die Erfolglosigkeit berichtete. Zuvor war er dem etwas interessierteren Fussballfan nur als Anhängsel des berühmten Calli Callmunds bekannt, sowie als Kurzzeitsportchef bei der grauen BuLi-Maus Hannover. Systemkritischen Fans war er allenfalls wegen seiner „Boutique Football“ bekannt, die so gar nicht ins „Gegen-den-modernen-Fussball“-Bild passen will.

Gleichzeitig kamen die Young Boys sportlich gar nicht in Fahrt. Die Mannschaft dümpelte (dümpelt gar immer noch) im Mittelfeld der Super League herum und bald einmal wurde damit gerechnet, dass die Tage von Trainer Petkovic und Sportchef Baumann unter der neuen Führung gezählt sind.
Kaenzig hingegen bestach in den ersten Wochen in erster Linie durch eine ruhige und sachliche Informationspolitik. Der Trainer sei kein Thema und ansonsten müsse er sich zuerst ein Bild über Strukturen und interne Abläufe machen, bevor es allenfalls Retouchen und Personalentscheide geben werde.

In der Meisterschaft ging es zwar anschliessend bergauf, jedoch konnte man hier die ganz grossen Bäume weiterhin nicht ausreissen, sprich: Man beendete die Hinrunde so schlecht wie lange nicht mehr (Platz 5).
Im Europacup hingegen konnten die Young Boys sensationellerweise überwintern. Diese Leistung ging in der allgemeinen Kritik über die Niedermaier-Geschichte und die mässigen ASL-Resultate leider komplett unter. Eine Schweizer Mannschaft überwintert europäisch, besiegt Teams aus der grossen Bundesliga und der Primera Division. Und dann erst noch die veryoungboyser aus Bern.
Dazu kommt noch, dass YB im Cup die kleinen aber mühsamen Hürden allesamt überwinden konnte und nun im Frühjahr zuhause gegen den FCZ antreten darf (gegen den man im Übrigen seit 6 Spielen ohne Niederlage dasteht.).

In der Winterpause ging es danach Schlag auf Schlag: innert weniger Tage wurde bekannt, dass die Migros als Hauptsponsor zu Thun wechseln wird. Das 5-jährige Engagement des Grosshändlers wurde nicht verlängert – ein ganz normaler Vorgang in diesem Geschäft, doch man hätte meinen können, der Verein stehe wieder einmal vor dem Konkurs.
Anschliessen verkündeten die Berner (!!) Medien, dass Sportchef Baumann seine Kündigung erhalten habe. Dies erst noch per Post – und diese sei dann erst noch zurückgegangen weil dieser in den Ferien weilte. Daneben gaben diverse Akteure im Hintergrund Ihren Wechsel zum FC Thun bekannt.

Nicht falsch verstehen: Es ist sicher nicht einfach, einen ähnlich potenten Sponsor zu finden. Und wenn die Kündigung/Abstufung Baumanns wirklich so gelaufen ist, so ist dies einem langjährigen Angestellten und Spieler gegenüber sehr unwürdig (ob es nun effektiv so war, sei dahingestellt). Auch leitende Angestellte verliert man nicht gerne, schon gar nicht an einen Konkurrenten. Aber ich gehe davon aus, dass die meisten, die sich darüber echauffiert haben, von diesen Leuten noch nie gehört hatten…

Kurzum: Es war der Teufel los. Verantwortlich gemacht wurde Kaenzig, schliesslich ist er der Nachfolger Niedermaiers, und der war gut und beliebt. Dazu nur soviel: Als Martin Andermatt vor 2 Jahren gegangen wurde, wuchs der Zorn auf den ohnehin schon unbeliebten Niedermaier ins unermessliche. Dieser Mann habe keine Ahnung vom Sport, verkaufe den Verein, habe zuviel Macht, etc etc. In den ersten Jahren im neuen Stadion, war Niedermaier in vielen Kreisen einer der Hauptschuldigen an den fehlenden Erfolgen (neben P.J.).
Niedermaier hat sich seine Beliebtheit und seine Anerkennung in den 5 vergangenen Jahren hart erarbeitet und war nicht – wie in den letzten Monaten zu lesen war – von Beginn weg Everybody’s Darling.

Das gleiche harte Brot darf/muss nun Ilja Kaenzig essen – wobei bei ihm erschwerend hinzukommt, dass die Ansprüche im und um den Verein um ein vielfaches gestiegen sind (auch wenn die Titelbilanz genau gleich schlecht ist wie vor 5 Jahren).

Dem gemütlichen Berner Fussballfan passt es in vielerlei Hinsicht nicht, dass jetzt ein „Zürischnurri“ kommt und YB umkrempeln will. Es war doch vorher alles gut, und lieb und nett und sympathisch – tut es Not, dass man jetzt keinen Stein mehr auf dem anderen lässt?

YB ist in den letzten Jahren stetig gewachsen. Mehr Zuschauer, mehr Geld, mehr kurzzeitige Erfolge – doch was fehlt sind Titel. Hier sind wir noch genau gleichweit wie vor 20 Jahren. Daher kann nicht alles Gold sein, was glänzt.

Abidjan: Ein Thema, welches für grossen Aufruhr gesorgt hat. Die Meinungen gehen auseinander. Soll man das Projekt für die 100’00 CHF jährlich weiterführen, auch als Humanitären Gründen? Oder soll man das Geld (der Betrag soll viel höher sein) lieber in den einheimischen Nachwuchs investieren? Man kann sicher beide Aspekte gelten lassen. Allerdings müsste der Nachwuchs bei YB den Stellenwert haben, „Äs sött für jede junge Giel vo Friburg bis Aargau und vom Aaretal bis i Jura ds Ziel si, bi YB z schutte“ (Zitat Biber). Mit Hansruedi Hasler wurde in dieser Hinsicht DIE Kapazität im Schweizer Fussball verpflichtet.

Baumann: Ein „unsriger“, eine Legende. Dennoch muss man auch seine Arbeit hinterfragen. Wir haben mehr als eine Handvoll „Perspektivspieler“ die entweder in der U21 spielen oder an einen anderen Verein ausgeleiht sind. Wieviel YB von diesen Lohnkosten im Moment selber bezahlt, wissen wir nicht. Aber es sind definitiv zu viele Spieler im erweiterten Kader, die den Sprung ziemlich sicher nicht mehr schaffen werden. Zudem muss bezweifelt werden, wie gut Baumann vernetzt ist und wie gut das bisherige Scouting funktioniert. Das wird auch nicht besser, „nur“ weil mit Chapuisat der beste CH-Spieler aller Zeiten dahinter steht. Eine sinnvolle Weiterbeschäftigung von Baumann sollte aber sicher geprüft werden.

Petkovic: Jeder rechnete damit, dass spätestens im Spätherbst ein neuer Trainer an der Seite stehen würde. Nun, Petkovic ist immer noch da – Kaenzig hielt Wort. Um ehrlich zu sein: Wären die Young Boys im Europacup gescheitert und im Cup ausgeschieden, Petkovic wäre heute unter Garantie nicht mehr Trainer in Bern. Weiter bleibt abzuwarten, ob der Turnaround in der Rückrunde geschafft werden kann. Sollte – auch unter Berücksichtigung des neuen Personals – keine markante Steigerung zu sehen sein, wird Petkovic im Sommer abgelöst. Denn auch er ist nicht vor den Mechanismen des Geschäfts gefeiht. (Und nur wenige würde es erstaunen, wenn danach Marcel Koller ans Ruder käme).

Transfers: Zum ersten Mal seit Ewigkeiten hat YB vor dem Winter einen Namen genannt – und diesen auch verpflichtet. Mit Alexander Farnerud gelang Kaenzig die Verpflichtung eines Namens. Ob und wie uns sportlich weiterhelfen kann, werden wir bald sehen. Aber immerhin wurden in dieser Sache einmal Ankündigungen eingehalten. Dasselbe würde auch für einen allfälligen Transfer von Koo gelten. Mit der angeblichen Verpflichtung von Elsad Zverotic (ab Sommer) wurde dem ganzen noch das Sahnehäubchen aufgesetzt.

Das Wichtigste im Moment wäre es, die Verantwortlichen arbeiten zulassen und die vielen Neuerungen/Änderungen zu ertragen und darüber hinwegzusehen, dass der Blick wieder viel zu schreiben hat.
Geben wir Kaenzig/Hasler/etc Zeit, ihre Projekte und Ideen umzusetzen und den Verein hinter den Kulissen zu professionalisieren und die Strukturen anzupassen.

Hand aufs Herz: Die bisherige Entwicklung hätte im letzten Frühling gipfeln sollen, ja müssen. Doch es gelang nicht einmal mit einem grossen Punktepolster und einer tollen Mannschaft, sowie dem besten Einzelspieler der Schweiz. Auch wenn es weh tut: Wenn man es in der bisherigen Konstellation nicht geschaffte hat, so würde man es so wohl nie mehr schaffen. Zeit also, um Veränderungen zu machen und den Hebel konsequent anzusetzen. Denn niemand – ob er Kaenzig mag oder nicht – will die nächsten 5 Jahre weiterhin zwischen Rang 2 und 4 dümpeln.

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