Interview Christian Peintinger, Assistenztrainer

Adi Hütter war immerhin einigen ein Begriff in Bern, als sein Wechsel zu YB bekannt wurde. Sein Assistenztrainer Christian Peintinger sicherlich nicht. Plötzlich geisterte sein Name in den Medien rum und dann war er da. Seither assistiert er zusammen mit Harry Gämperle unseren Cheftrainer Adi Hütter und steht dabei nie im Fokus der Öffentlichkeit. Nun ist Christian Peintiger seit acht Monaten bei YB. Höchste Zeit also, dass wir den 49-jährigen zweifachen Familienvater etwas näher kennen lernen. Deshalb trafen wir den äusserst sympathischen Steirer zum Interview und wollten mehr zu ihm, seiner sportlichen Vergangenheit, seinem Wechsel in die Schweiz sowie seinen bisherigen Erfahrungen und weiteren Vorstellungen mit YB erfahren. Und ihn auch einfach mal etwas erzählen lassen.

Interviewer: Maté / Jänu
Termin: 09.08.2016

Vorneweg danke, dass du dir Zeit für uns nimmst. Wir möchten gerne etwas zu deiner Biografie erfahren und haben gesehen, dass dein Vater bereits aktiver Fussballer war, war er verantwortlich dafür, dass du zum Fussball kamst?

Indirekt schon, weil ich als Junge schon immer auf dem Fussballplatz war. Da lag das Fussballgen schon immer etwas in der Familie.

War das so klassisch im Dorfverein?

Nein. 1967, als ich geboren wurde, wechselte mein Vater zu Sturm Graz, da spielte er bis 1974. Dort habe ich dann auch in der Jugendmannschaft begonnen und bis hin zur Kampfmannschaft alle Stufen durchlaufen.

Was faszinierte dich am Fussball?

Grundsätzlich hat es mich fasziniert, dass ich meinen Vater spielen sah. Zudem hat es in meiner Zeit, also wie ich aufgewachsen bin, Computer, Handys und so weiter alles nicht gegeben. Fussball war eigentlich nicht nur Freizeitbeschäftigung, es war eigentlich das einzige, was ich hatte. Ich wohnte in einem grossen Wohnblock, wir waren an die 20 Jungs und automatisch gab es nur ein Thema: Fussball. Zusätzlich fasziniert mich logischerweise genau das, was wir hier gegen Thun erleben durften, ein volles Stadion, das ist einfach ein Erlebnis, schlicht unbeschreiblich.

Durftest du etwas Vergleichbares auch als aktiver Spieler erleben?

Auch Sturm ist ein Traditionsverein mit vergleichsweise vielen Anhängern. Wir haben seiner Zeit mit der Kampfmannschaft in der „Gruabn“ gespielt. Da gingen 10‘000 hinein, die Tribüne war etwa zwei Meter von der Outlinie entfernt. So herrschte jeweils eine richtig tolle Atmosphäre. Dann durfte ich es bei Innsbruck unter Ernst Happel erleben, vor ausverkauftem Haus zu spielen. Ich hatte also schon die Gelegenheit, vor vielen Leuten zu spielen.

Kann man das auch geniessen, so wie jetzt gegen Thun?

Danach. Danach kann man es geniessen, während des Spieles kann man gar nichts geniessen. Es ist einfach nicht möglich. In der ersten Halbzeit ist, sitze ich auf der Tribüne, beobachte von da das Spiel und gebe in der Pause dem Trainer ein Feedback. Was war gut, was können wir ändern. In der zweiten Halbzeit sitze ich dann auf der Bank und da ist es nichts anderes als mit zu fiebern, Anweisungen zu geben, mit dem Trainer kurz taktische Dinge zu besprechen. Man hat also keine Zeit, während des Spiels über irgendetwas anderes nachzudenken, beziehungsweise irgendetwas zu geniessen. Aber dann, nach dem Schlusspfiff – Sieg, geniessen.

Bleiben wir noch kurz bei deiner Aktivkarriere. 92 Bundesliga-Spiele, stimmt das?

Das weiss ich nicht. Seinerzeit gab es nicht solche Aufzeichnungen und ich habe auch nie mitgeschrieben, ich weiss es nicht. Aber es dürften wohl so an die 100 gewesen sein, das stimmt wohl.

Und drei Tore hast du dabei erzielt?

Das weiss ich noch ja, das stimmt.

Welche Position hast du denn gespielt?

Mittelfeld zentral. Aber ich war ja nicht lange Profi. Ich bin in die Schule gegangen, bin bei Sturm Graz in die Kampfmannschaft gekommen, habe maturiert und bin dann nach Innsbruck als Profi gegangen. Dann war ich beim LASK und bin dann zurück in die Steiermark zum DSV Loeben und für mich stellte sich da die Frage in Donawitz, das war damals auch Bundesliga, es als Profi weiter zu versuchen oder mich beruflich weiterzubilden. Leben konnte ich vom Gehalt in Donawitz nicht. So war von meiner Grundeinstellung her klar, wichtiger ist mal die Arbeit, dann kommt der Fussball. Das kann man sich ja heute eigentlich gar nicht mehr vorstellen, ich bin ganztägig arbeiten gegangen und habe trotzdem in der höchsten Liga in Österreich gespielt. Das etwa drei bis vier Jahre. Mit Familie wird‘s dann automatisch weniger mit Fussball, da lag diese Doppelbelastung nicht mehr drin und so ist es dann immer weiter runter gegangen bis in die Landesliga, 4. Liga, im Raum von Graz, so dass es sich mit der Arbeit einigermassen vereinbaren liess.

Was hast du denn gearbeitet?

In der Wirtschaftskammer, in Österreich ist das die Interessensvertretung der Selbständigen.

Warst du als zentraler Mittelfeldspieler einer vom Typ Sanogo?

Nein (lacht). Sich selber zu beschreiben ist ja immer schwierig. Was man mir aber nachsagte war, ich sei ein relativ guter Fussballer, aber etwas lauffaul.

Und dann kam irgendwann der Entscheid, Trainer zu werden.

Ja. Da war die Liebe zum Fussball und ich war glaube ich vom Typ her auch einer, der auf dem Feld stets Verantwortung übernommen hat. Ich war in vielen Mannschaften Kapitän und das sind dann Typen, die in vielen Fällen Trainer werden. Ich hatte das auch als Jugendlicher bei meinem Vater gesehen und miterleben dürfen, wie das so läuft. Und ja, dann habe ich einfach gedacht, probier mer’s mal. So ist das neben dem Beruf entstanden.

Also war eigentlich schon relativ früh klar, dass du mal Trainer machen willst?

Ja. Insofern früh, als dass ich während meiner Aktivkarriere meine Trainerlizenz gemacht habe. Damit hat es eigentlich bereits begonnen, ich war da glaub‘ich 24.

Als erste Trainerstation haben wir Sturm U19 gefunden.

Das ist nicht richtig. Begonnen habe ich in Gösenbach, da habe ich gespielt und wurde dann Spielertrainer für ein halbes Jahr. Ich ging dann weiter als Spielertrainer nach Kalsdorf und dann zu Sturm Graz zur U19 Akademie. Danach wurde ich Amateurtrainer und war sechs oder sieben Jahre bei Sturm Graz.

Und dann folgte der Wechsel wieder zurück zu Kalsdorf.

Genau. Dann wieder zu Kalsdorf, nachdem bei Sturm Graz der Entscheid gekommen war, auch mit den Amateuren, in der Schweiz ist das die U21, vormittags zu trainieren. Das ist natürlich schwierig, wenn man arbeitet und so haben wir uns darauf geeinigt, dass es professioneller wäre, wenn ein hauptberuflicher Trainer kommt und Zusammenarbeit einvernehmlich beendet.

Kam es für dich damals nicht in Frage, den Beruf dafür aufzugeben?

Nein. Natürlich bin ich bei Sturm gross geworden, aber es ist ja auch ein finanzieller Aspekt, mit vielen Dienstjahren auf der Arbeit hinzugehen und zu sagen, ich kündige jetzt, um einen Zweijahresvertrag zu unterschreiben, mit den gleichen Konditionen, die ich schon gehabt habe. Und ich hatte auch die Familie.

Bei Kalsdorf war das Traineramt dann wieder mit dem Beruf vereinbar?

Kalsdorf ist dritte Liga in Österreich gewesen, es war wieder „entspannter“. Auch weil wir immer freitags spielten und in den meisten Fällen Samstagvormittags noch Training und dann Nachmittag und Sonntag frei. Vorher bei Sturm hatten wir zum Beispiel oft nach der Kampfmannschaft gespielt. Wenn diese also am Samstag spielte, trainierten wir am Vormittag, der eigentlich mein freier Tag war und am Sonntag hatten wir Spiel. Dann Montag ging es wieder los auf der Arbeit. Im Sinne der Nerven, im Sinne der Lebensqualität auch, war es für mich sicher sinnvoll, dass ich einen Schritt zurück getan habe.

Dann warst du also in Kalsdorf und von da folgte dann der Wechsel zu YB.

Richtig.

Nun war es bekanntlich Adi Hütter, der dich hierher geholt hat. Wie kam er auf dich?

Wir sind schon lange befreundet, auch er spielte seinerzeit in der österreichischen Bundesliga, wir kennen uns. Er hat in Graz beim GAK gespielt, dort sind wir dann richtig Freunde geworden. Und Freunde reden bekanntlich nicht nur über Privates, sondern auch über Fussball. Als er dann Trainer wurde besuchte ich ihn in Altach, Grödig und Salzburg. Ich betreute Sturms Amateure oder Kalsdorf, er Salzburg. Schon ein Unterschied. Aber im Fussball kann man trotzdem immer reden. Über taktische Dinge, über die Spielidee. Wir wollten beide offensiv spielen lassen. Bereits bevor Adi bei Redbull Trainer wurde, habe ich in Kalsdorf versucht, den „Salzburger Fussball“ in meine Mannschaft einfliessen zu lassen. Also sehr hoch stehen, mit Offensivpressing, das hat mir imponiert. Und so habe ich mich das erste Mal mit diesem Thema – Pressing, Gegenpressing, hohes Attackieren – beschäftigt. Ein Jahr später wurde Adi bei Salzburg Trainer und so wurde der Kontakt noch intensiver. Wie trainieren, wie anlaufen, da ging’s dann jeweils wirklich ins Detail. Und so hat uns eigentlich nicht nur das Freundschaftliche verbunden, sondern auch das Fussballerische. Und er hat mich dann gefragt, ob ich mitgehen würde.

Im Klartext, als der Wechsel bekannt wurde von Hütter zu YB, klingelte plötzlich dein Handy.

Nein nicht ganz, es war eine ganz seltsame Situation. Nachdem er in Salzburg lebte und ich in Graz, sagten wir, treffen wir uns in der Mitte, schlafen dort und gehen zwei Tage wandern mit unseren Frauen. Und genau in diesem Wanderurlaub ist das entstanden.

Also da war er schon bei YB?

Da ist der Anruf gekommen von YB an ihn und da ging es darum, wer mitgeht. Und da hat er mich gefragt.

Das führte dann zu lustigen Berichten in der Presse. Offenbar war klar, dass Sie zu YB kommen, in Bern aber hiess es, dass niemand etwas davon wisse. (gs.be zeigt ihm einige Ausschnitte)

Hast du das mitgekriegt und wenn ja, was war deine Reaktion?

Ich habe nicht alles gelesen, hatte ja auch keine Zeit. Adi war ja schon da und ich musste handeln. Mit der Firma abklären, was zu tun ist, ich war darauf überhaupt nicht vorbereitet. Ausserdem lese ich nicht sehr viele Zeitungen.

Ist das ein bisschen Selbstschutz vielleicht auch?

Ja auch, man liest dort natürlich gerne, wenn etwas Positives drin steht, wenn man gewinnt und natürlich weniger, wenn es negativ ist. So lese ich eigentlich gar nicht viel, sonst verliere ich den Fokus. Ich hatte wie gesagt auch viel zu tun. Für mich war klar, dass ich gehe, aber es waren halt Fragen zu klären. Muss ich selbst kündigen? Da war die Frage nach der Abfertigung. Abfertigung heisst, wenn man 25 Jahre für denselben Arbeitgeber arbeitet, steht einem eine Prämie von einem Jahresgehalt zu. Aber wenn man selbst kündigt natürlich nicht. Also musste ich das abklären und bei einem Arbeitgeber mit 350 Angestellten kann man sich vorstellen, dass das nicht so schnell vonstatten geht. Dazu musste ich das natürlich auch mit meiner Familie klären.

Du sagst jetzt so einfach, für mich war klar, ich gehe. Die Jahre zuvor hast du dich aber immer eher für die Sicherheit und deinen Arbeitgeber entschieden, nach der Anfrage von YB respektive Adi Hütter hast du aber dann gedacht, so jetzt riskiere ich auch mal was?

Genau. Ich bin ja jetzt schon einige Jahre verheiratet und meine Frau hatte das immer gemerkt, dass der Wunsch, irgendwann einmal professionell im Fussball zu arbeiten, sehr tief in mir drinnen steckt. Sie war eigentlich die erste, die von Haus aus sofort gesagt hat: „Mach es, ich weiss, es ist ein Traum von dir, ich unterstütze dich.“ Die Kinder waren auch sofort bereit, das war für mich das Wichtigste. Ich dachte mir einfach „jetzt bin ich 48 Jahre, wann bekommst du noch einmal eine Chance, ins Ausland zu gehen, professionell zu arbeiten unter guten Bedingungen?“ Wenn du’s jetzt nicht nutzt, wirst du irgendwann sagen: „Warum habe ich das nicht gemacht?“ Wenn man Träume hat, sollte man sich diese erfüllen

Und erst noch mit einem Freund.

Ja. Wobei, und das ist ja auch ganz klar – wir haben lange über unsere Beziehung geredet. Als Freunde gibt’s ja keine Probleme, aber wir haben noch nie miteinander gearbeitet.

Entstehen da automatisch Probleme?

Das weiss man nicht. Das wussten wir nicht. Aber wir haben uns intensiv ausgetauscht. Was erwartet er von mir, was erwarte ich von ihm. So waren dann die Fronten klar. Aber es ist natürlich nicht sicher, dass wenn man gute Freunde ist, man auch gut miteinander arbeitet.

Wie sieht denn die Arbeit aus im Trainerstaff? Wie ist sie aufgeteilt?

Also wir sind mit Harry Gämperle zu dritt. Eine meiner Aufgaben ist die Analyse des eigenen Spiels. Dann bin ich auch für die Standards defensiv zuständig. Harry ist zuständig für die offensiven Standards und die Gegneranalyse. Wir bereiten das Videomaterial vor und schauen es uns dann gemeinsam an.

Gemeinsam zu dritt?

Ja, immer zu dritt. Wir bieten dem Adi die Szenen an und dann wird entschieden, welche davon genommen und den Spielern vorgetragen werden. Es wird auch jedes Training im Vorfeld besprochen. Aufwärmen macht in den meisten Fällen Martin Fryand, der Fry, dann kommt es zu den Hauptteilen mit Spielformen und so weiter, da entscheiden wir zu dritt, was wir machen. Adi delegiert dann, wer was macht. So funktioniert das sehr gut unter uns. Die letzte Entscheidung hat natürlich immer der Trainer, das ist klar. Aber natürlich gibt es auch Diskussionen, Fussball wird nicht von jedem gleich gesehen. So sind wir auch nicht immer einer Meinung. Doch das belebt dann das Ganze und damit haben wir auch kein Problem. Ich finde das befruchtend. Ich glaube auch nicht, dass der Adi glücklich wäre, wenn er zwei Assistenztrainer hätte, die zu allem Ja und Amen sagen würden.

Also kannst du dem Chef problemlos sagen „Adi, diese Übung finde ich jetzt nicht passend“

Absolut. Was er dann am Ende daraus macht, das obliegt immer noch ihm. Aber ich glaube schon, dass ihm das auch gut tut, wenn er auch mal eine andere Meinung hört.

Und wenn du mal während dem Spiel das Gefühl hast, dass man einen Spieler auswechseln sollte, der Trainer aber keine Anstalten macht. Dann gehst du zu ihm und sagst „Adi, den sollte man jetzt runternehmen“?

Logisch, du kannst nicht elf Spieler vom Spielfeldrand aus alleine beurteilen und sehen, wie jeder einzelne körperlich beieinander ist. Vielleicht sehe ich was anderes als Adi. Und vor den Wechseln diskutieren wir alle miteinander. Das sieht man dann immer im Stadion und am Fernsehen, wie wir da die Köpfe zusammenstecken. Da sieht man auch von aussen, dass da ein reger Austausch ist im Trainerteam. Die letzte Entscheidung liegt natürlich immer bei Adi, aber ich finde es schön, dass er auf unsere Meinung sehr grossen Wert legt.

Bist du mit deinem Engagement bei YB am Ende deiner Trainer-Träume angelangt?

Es ist für mich auf jeden Fall ein Traum, bei YB zu arbeiten.

Der hoffentlich noch lange weitergeht…

Schauen wir mal. Du weisst genau, wie schnell es im Fussball geht. Da brauchen wir nicht über langfristige Planung zu reden. Aber ich glaube, da kann ich auch für Adi sprechen, wir fühlen uns hier wohl, sind super aufgenommen worden, von allen hier im Club. Wir kennen ja auch fast nur die Leute hier, da wir fast andauernd im Stadion sind.

Wie nimmt man YB eigentlich in Österreich wahr? Und wie nahmst du YB vor deiner Berner Zeit wahr?

Wie nehmt ihr Sturm Graz wahr? Die Österreicher und die Schweizer schauen alle ihre eigenen Ligen und gemeinsam nach Deutschland. Ich persönlich hatte den Vorteil, dass ich den Schweizer Fussball doch schon eine Weile verfolge, vor allem weil Jakob Jantscher Spieler bei mir war. So habe ich auch mitbekommen, wie Marcel Koller ihm geraten hat, in die Schweizer Liga zu wechseln. Da ich Jakob kenne, hatte ich schon vor meinem Engagement bei YB einen kleinen Bezug zum Schweizer Fussball. Ausserdem hatte ich in Graz das Glück, das Schweizer Fernsehen zu empfangen, eine Seltenheit in Österreich.

Und was hast du über YB gewusst? Wie hast du dir den Verein vorgestellt?

Klar informiert man sich über seinen neuen Verein im Voraus. Man recherchiert dann ein bisschen im Netz und das erste, das auffiel, war die Stadionkapazität von 31‘000. Ich habe es immer so empfunden, dass sich die schweizerische und die österreichische Liga ziemlich ähnlich sind. Sturm Graz spielt auch immer so um die Top 3 mit, da habe ich immer gedacht, das muss hier in Bern wohl so ähnlich sein. Aber dann merkte ich, hier ist alles sicher um das Doppelte oder Dreifache grösser als in Graz. Sei es von den Zuschauerzahlen, von den Angestellten, von der Infrastruktur oder was auch immer. Das hätte ich nie gedacht, dass es solche Unterschiede zwischen Bern und Graz gibt.

Und hat dich nebst dem Wankdorf und der Infrastruktur bei YB auch die Stadt Bern beeindruckt?

Die erste Zeit hier hatte ich natürlich nicht viele Möglichkeiten, um mir Bern anzuschauen. Ich musste mich ja erst einmal hier bei YB einleben und organisieren. Zu dieser Zeit wohnte ich im Hotel Ambassador und wir sind halt immer relativ lange im Stadion, da bleibt nur wenig freie Zeit. Aber klar, abends bin ich dann auch schon mal auf einen Spaziergang gegangen, weil ich mir die Stadt ansehen wollte, die gefällt mir schon sehr gut, muss ich sagen.

Du sagst alleine sein… Wie sieht‘s mit deiner Familie aus?

Die wohnt in Graz. Die beiden Kinder studieren in Graz und meine Frau ist dort berufstätig. Zwar ist die Situation nicht immer einfach, aber ich glaube wir machen das ganz gut. Ich fahr zwar logischerweise nicht so oft nach Hause, wie die Familie zu mir kommt. So wie jetzt gerade meine Frau, die für zwei Wochen da ist. Und meine Kinder haben im Studium auch immer mal wieder Zeit, da wohl nicht immer so viel Stress an der Uni ist und somit kommen die dann auch in regelmässigen Abständen. Und normalerweise auch nicht alle zusammen, sondern jeder einzeln. Das hat den Vorteil, dass man sich dann auch wirkliche Zeit füreinander nehmen kann und der zeitliche Abstand ist nicht so gross, bis du wieder jemanden aus deiner Familie siehst. Länger wäre dann aber schon sehr schwierig.

Und was machst du, wenn deine Familie hier ist und du Feierabend oder einen freien Tag hast?

Kürzlich zum Beispiel war ich auf dem Schilthorn mit meiner Frau und meinem Sohn. Also wir versuchen schon Ausflüge in der Schweiz zu machen. So waren wir auch schon mit Übernachtung und Stadtführung in Luzern. Ich möchte schon die Schweiz möglichst anschauen und mich hier auch wohlfühlen.

Dann wohnst du sicher auch nicht mehr im Hotel?

Nein, nein, zum Glück nicht. Zurzeit wohne ich in Zollikofen und fühl mich wohl. Passt gut.

Du hast mit Kalsdorf im Pokal als Drittligist mal Austria Wien rausgeheuen. YB hatte in der Vergangenheit auch schon Mühe mit Underdogs. Ist es für dich speziell, mal als haushoher Favorit in ein Cupspiel zu gehen? Und hilft es dir vielleicht gar, dass du beide Seiten kennst?

Also grundsätzlich ist es ja nicht so, dass ich als Kalsdorf-Trainer immer nur der Underdog war. Im Cup in Österreich spielen auch Teams aus der vierten und der fünften Liga mit und da gehst du auch als Favorit ins Spiel. Aber sicherlich schadet es nicht, wenn man die Seite des Underdogs kennt, wenn man beide Seiten kennt und weiss, was sich in den Köpfen abspielt. Fakt ist egal ob in Österreich, in Deutschland oder in der Schweiz, in irgendeiner Runde scheidet irgendwann mal ein Favorit aus, das macht den Cup ja auch aus. Aber ich glaube nicht, dass wir uns jetzt mit dem Ausscheiden beschäftigen sollten. Denn wir sind weit weg von dem Ganzen was einmal war und der ganzen Geschichte bei YB. Überall heisst es, die scheiden im Cup immer aus, letztes Mal Meister 1987 und veryoungboysen und was weiss ich, was es da alles gibt. Das muss alles weg, weit weg (wischt energisch über den Tisch). Das mit der Mentalität in Bern, wie oft ich das schon gehört habe, das ist Wahnsinn. Je mehr du das hörst, desto mehr denkst du, kommt doch alle mal weg von dem. Vielleicht ist es deshalb auch nicht schlecht, dass wir aus Österreich kommen. Weil wir noch nicht so infiziert sind und sagen können: weg mit dem Ganzen, das interessiert mich nicht. Wir sind erst acht Monate hier und haben trotzdem, so glaube ich, ein paar Dinge erreicht, die nicht so einfach zu erreichen waren. Sei es das 7:0 gegen Lugano, der Sieg über Schachtar oder die beste Rückrundenmannschaft. Da sollte man die Vergangenheit auch einfach mal ruhen lassen.

Nervt das auch, dauernd mit diesen Themen konfrontiert zu werden?

Du wirst mit etwas konfrontiert, bei dem du selber noch nicht mal da warst und nichts dafür kannst. Wenn einer sagt, ich habe damals bei YB gespielt und einige Meisterschaften versaut, sage ich „OK, das geht mich nichts an“. Der war vielleicht vor zehn Jahren da und ich bin es jetzt. Ich sah natürlich bevor ich hierher kam, dass die letzten Erfolge schon etwas her sind, dass dieses Thema so dominant ist, hätte ich aber nie gedacht und auch nicht, dass es jeder immer wieder hervorkramt… Das muss weg, weg (wischt wieder über den Tisch).

Und die es-ist doch-immer-das-selbe-Keule kam erst gerade wieder so richtig hoch nach der Pleite gegen Lugano.

Genau. Ich meine, gegen wen haben wir den hier zu Hause verloren? Basel und Zürich im Cup. Und das in acht Monaten. Dann heisst es nach einer Niederlage gegen Lugano „schon wieder“, obwohl es in acht Monaten nur zwei Niederlagen gab. Ich weiss nicht, ob hier jeder davon ausgeht, dass wir zu Hause nie mehr verlieren werden. Das ist doch Wahnsinn. Lugano versucht doch auch, uns zu besiegen und analysiert uns und will unsere Schwächen finden. Und das Spiel, oder zumindest die erste Halbzeit, war nicht mal so schlecht. Natürlich müssen wir nicht darüber diskutieren, dass wir uns dümmlich anstellten in der zweiten Halbzeit. Aber jetzt versetzt euch mal in den Spieler. Da schlägst du denselben Gegner hier 7:0 im Frühjahr, dann steht‘s 1:1, da willst du unbedingt das 2:1 machen. Und dann kommt es auch vor, dass du dich nicht mehr 100% auf die Abwehr konzentrierst, dazu noch die Müdigkeit. Und dann können halt solche Sachen mal passieren.

Wie baut ihr dann die Jungs wieder auf nach solch einer Niederlage? Lange Zeit blieb ja nicht.

Absolut und da sieht man dann auch wieder, wie schnelllebig das Fussballgeschäft ist. Für uns gilt es in solchen Wochen, die vergangenen Spiele möglichst schnell abzuhaken. Das Spiel nochmal anschauen, besprechen, Szenen zusammen analysieren und dann abhaken. Denn danach hast du Schachtar. Da nützt es nichts drei Tage lang über das Lugano-Spiel zu diskutieren. Deshalb haben wir das Spiel sachlich analysiert, angeschaut was war gut aber auch was war schlecht. Analyse und weg. Nächstes Spiel. Und genau das gleiche nach dem Schachtar Spiel. Das gilt nicht nur bei schmerzlichen Niederlagen, sondern auch im überschwänglichen Erfolg. Was willst du dich da lange mit dem Spiel aufhalten, wenn du so einen Spielrhythmus hast wie wir momentan? Deshalb, nur nicht zu lange in der Vergangenheit kramen, davon hat niemand was.

Du sprichst den Rhythmus an. Diese englischen Wochen sind jeweils besonders anstrengend für die Spieler, wie sieht dies für die Trainer aus?

Die sind sehr ermüdend. Denn jedes Spiel kostet Kraft. Du beschäftigst dich natürlich auch als Trainer mit dem Spiel. Es gab Spieler, die konnten nach dem Schachtar Spiel gar nicht schlafen und das ist bei uns Trainer das gleiche. Am nächsten Nachmittag kommt dann richtig die Müdigkeit. Doch dann muss ich das Spiel analysieren und sitze vier Stunden vor dem Bildschirm. Aber dann braucht man natürlich auch mal einen freien Tag. Und da will ich dann gar nichts mit Fussball zu tun haben, da gilt es mal abzuschalten. Wir haben halt nicht jeden Samstag und Sonntag frei, wie andere Berufstätige, das gibt’s bei uns nicht. Bitte nicht missverstehen, ich will mich nicht beklagen, gar nicht. Aber es ist einfach viel zu tun.

Wenn du nach dem Spiel nicht schlafen kannst, nimmst du da das Video hervor?

Nein, das geht gar nicht. Wenn du da wieder konzentriert zu arbeiten beginnst, fährst du ja wieder hoch mit deinem ganzen System und das Adrenalin ist wieder da. Ich mach‘s in den meisten Fällen so, dass ich mir irgendeinen Film auf der Couch liegend anschaue und dann schlaf ich bald einmal ein. Also ein paar Stunden Schlaf krieg ich immer.

Wie läuft eigentlich bei euch das After-Match-Programm ab?

Wir brauchen ungefähr eine Stunde, bis wir alles fertig haben. Und dann gehen wir in die Champions Lounge und essen etwas mit allen Spielern. Und dann geht’s bald mal nach Hause.

Die Entwicklung des Fussballs geht immer mehr hin zu diesen für alle ermüdenden englischen Wochen mit immer mehr Spielen, vor allem in EM- und WM-Jahren. Wie siehst du diese Entwicklung als quasi Direktbeteiligter?

Eine Europameisterschaft ist am Ende einer langen Saison. Von der Motivation her ist es zwar nicht ein grosses Problem auch noch eine EM zu spielen, denn das will jeder, aber der Körper spielt dann nicht mehr mit. Wenn ich sehe wie viele Spiele zum Beispiel ein Messi macht, dann frag ich mich schon. Der kann ja kaum mehr normal trainieren. Da gibt’s nur Spiel, Regeneration, Abschlusstraining, Spiel. Der kann sich einmal in einer Vorbereitungszeit seine Kraft holen und dann muss er halten. Aber für einen Spieler sind so englische Wochen auch nicht immer unangenehm. Das ist halt immer wiederkehrend, du bist in einem Rhythmus drin.

Können englische Wochen somit auch von Vorteil sein?

Wenn du einen dementsprechenden Kader zum Rotieren hast, macht das nichts. Problematisch wird’s dann, wenn der Kader zu klein wird oder wenn du Verletzte hast. Dann musst du improvisieren und es verletzt sich der, den du eigentlich schonen wolltest, das nervt dann schon. Dann musst du wieder neu improvisieren. Da kann sich dann schon eine Negativspirale ergeben. Und dann wird‘s schlimm, dann leidet alles. Dann hast du Verletzte, es leidet die Qualität der Mannschaft, dann leiden die Leistungen und du verlierst dann Spiele, die du normalerweise nicht verlierst.

Und schon war die Zeit um. Adi Hütter und Harry Gämperle kamen von der Pressekonferenz zurück und somit hiess es für Christian Peintinger zurück an die eigentliche Arbeit. Wir danken ihm herzlich für das interessante, aufschlussreiche und unterhaltsame Gespräch. Merci Christian!

 

Christian Peintinger – Quelle: bscyb.ch

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