«Es grenzt an ein Weltwunder, dass wir 1. Liga Promotion spielen»

Der FC Breitenrain reitet seit Jahren auf einer Erfolgswelle. Sportchef Christoph Schöbi sagt, wo die Vorteile des Kleinen inmitten der Grossen sind, und weshalb er sich gegen Brühl fast selbst eingewechselt hätte.

Fredy Bickel ist zurück in Bern. Ende November verzückte diese Nachricht alle YB-Fans. Der neue alte Sportchef wurde mit vielen Vorschusslorbeeren ausgestattet und riss YB kurzzeitig aus der Herbstdepression, die mittlerweile einer Frühjahrsmüdigkeit gewichen ist. In der medialen Aufregung unterliess Bickel es nicht, seine grosse Verbundenheit zum Klub und zu Bern zu betonen. Ein Sportchef, der sich voll und ganz mit Verein und Stadt identifiziert und einen beträchtlichen Leistungsausweis vorzuweisen hat, ist für YB ein Novum.

Ein Leben auf dem Fussballplatz
Nur 1400 Meter vom Wankdorf entfernt sind diese Merkmale alltäglich aber trotzdem nicht selbstverständlich. Der Sportplatz Spitalacker mit der kleinen Tribüne, eingeklemmt zwischen Quartierstrassen, Schule und Feuerwehrkaserne ist die Heimat von Christoph Schöbi. Seit 17 Jahren ist Schöbi Sportchef des FC Breitenrain. In den letzten zwölf Jahren ist der Quartierklub viermal aufgestiegen. Immer dabei: Christoph Schöbi. Nicht nur als Sportchef, sondern auch als Teammanager, Materialwart und Organisator von Carfahrten. Quasi nebenbei ist er stellvertretender Schulleiter in Bolligen. Er selbst beziffert seinen Arbeitsaufwand auf rund 40 Prozent. In Tat und Wahrheit dürfte es bedeutend mehr sein. Einen Grossteil seiner Wochenenden verbringt er nämlich auf den Fussballplätzen in der Region Bern und sichtet Junioren und Aktive, die für Breitenrain interessant sein könnten. «Ich kenne jeden Trainer im lokalen Fussball persönlich. Obwohl mir täglich irgendwelche Spieler angeboten werden, vertraue ich lieber auf mein Beziehungsnetz.»

Desolate Hinrunde
Der Besuch von Fussballspielen im ganzen Kanton hat für Schöbi zur Folge, dass er in der Hinrunde dieser Saison kaum einmal auf dem Spitz anzutreffen war. Viel Erfreuliches hat er nicht verpasst. Aufsteiger Breitenrain tat sich schwer in der neu geschaffenen 1. Liga Promotion und belegte in der Winterpause den zweitletzten Tabellenplatz. «Wir haben die Liga zu Beginn unterschätzt und mussten mit vielen Absenzen auskommen», begründet Schöbi das schlechte Abschneiden in der ersten Saisonhälfte. Mittlerweile hat die Rückrunde begonnen und die Formkurve von Breitenrain zeigt steil nach oben. Aus den bisherigen sechs Spielen resultierten neun Punkte und Breitenrain hat die Abstiegszone verlassen.

Sinnbildlich für den Fortschritt der Stadtberner ist die Leistung gegen den FC Schaffhausen. Zwar verlor Breitenrain das erste Pflichtspiel im 2013 auswärts mit 2:1. Doch in der Hinrunde ging die Mannschaft von Trainer René Erlachner zuhause noch mit 0:6 unter. «Es grenzt an ein Weltwunder, dass wir heute in der dritthöchsten Liga spielen», sagt Christoph Schöbi unbescheiden und auch ein wenig ungläubig. Am Beispiel von Breitenrain und Schaffhausen lassen sich die enormen Unterschiede in dieser Liga verdeutlichen. Während Breitenrain mit 300‘000 Franken für die erste Mannschaft auskommen muss, sind bei Schaffhausen fast alle Spieler Vollprofis. Darunter auch ein Spieler wie Baykal, der eine lange Karriere im In- und Ausland hinter sich hat.

Angst vor Aufstieg
Wenn Schöbi einen Spieler will, kann er ihn nicht mit Geld ködern. Er setzt deshalb auf die persönliche Beziehung und auf den Standortvorteil Bern: «Die meisten Spieler leben oder arbeiten in der Stadt Bern. Das ergibt praktische Synergien für die Trainings und ist für viele ausschlaggebend.» Dazu kommt, dass Breitenrain nach Möglichkeit Berner im Team haben will. In den letzten Jahren ist dieses Konzept im sportlichen Bereich hervorragend aufgegangen. Vier Aufstiege seit 2001 sind das Ergebnis von «Leuten, die das Tagesgeschäft seriös erledigen», wie es Schöbi ausdrückt. Doch der Erfolg auf dem Rasen stellte den bescheidenen Quartierklub auch vor Probleme. «Wir wurden vom sportlichen Erfolg überrollt und mussten laufend die Vereinsstrukturen anpassen. Das gefiel nicht allen», erinnert sich Schöbi. Am Anfang wusste niemand im Verein, wie das Lizenzierungsverfahren funktioniert und im Sommer 2011 hätte Breitenrain  sogar die Lizenz für die Challenge League erhalten. Ein Aufstieg hätte den Klub wahrscheinlich in gröbere Turbulenzen gebracht und Schöbi ist heute froh, dass die Barrage gegen Brühl verloren ging: «Wären wir in Führung gelegen, hätte ich mich selber eingewechselt, damit wir forfait verlieren.»

Kein Gehör bei den Behörden
Der Sportchef betont zwar gerne, wie stark die 1. Liga Promotion ist, er will aber auch unbedingt die Klasse halten. Von höheren Weihen zu träumen, kommt für Schöbi nicht in Frage. Dafür ist er realistisch genug. Bereits jetzt ist Schöbi mehr Infrastrukturminister als Sportchef. Der Kampf um genügend Rasenplätze ist für Breitenrain ein Dauerthema. Schöbi steht in ständigem Kontakt mit den städtischen Behörden. «Dank den Kunstrasenplätzen auf der Bodenweid hat sich die Lage ein bisschen entspannt, sie bleibt aber prekär.» Während andere Vereine «nur» über zu wenig Trainingsplätze verfügen, ist beim FC Breitenrain das Hauptspielfeld auch noch ein ewige «Baustelle». Der Spitalacker, der sich im Besitz der Stadt befindet, erfüllt die Bedingungen für die dritthöchste Liga im Grunde nicht mehr. Das liegt primär an den fehlenden Schiri-Garderoben. Das Problem ist bekannt, doch in den letzten Jahren gab es null Verbesserungen. Für Schöbi ein Ärgernis: «Sportamt und Stadtbauten haben mehrmals Projekte präsentiert, die aber so überrissen waren, dass sie sowieso nicht realisiert wurden.»

Spitz erhält Kunstrasen
Häufig erlebt Schöbi den Dialog, der oft keiner ist, mit der Stadt als Spiessrutenlauf. Wenn man einmal reklamiere, werde einem gleich der Drohfinger gezeigt, lauten seine ernüchternden Erfahrungen. Der Hauptmangel beim Spitalacker liegt bei den veralteten Garderoben. Dort geschieht aber nichts, bis man weiss, wie die Feuerwehrkaserne zukünftig genutzt wird. Trotzdem wird die Stadt nun aktiv. Doch statt die Vorgaben der Liga umzusetzen, erhält der Spitalacker diesen Sommer einen Kunstrasen, der auf wenig Begeisterung stösst. Für viele Nostalgiker ist das aber immer noch das geringere Übel als wenn Breitenrain seine Spiele auf dem renovierten Platz des ungeliebten FC Wyler austragen müsste.

Vermisste YB-Persönlichkeiten
Damit der FC Breitenrain auch in fünf Jahren noch 1. Liga Promotion spielt, braucht es nicht nur Verbesserungen in der Infrastruktur, sondern auch in der Mannschaft. Schöbi hofft, dass zukünftig Perspektivspieler von Thun, Biel und YB bei Breitenrain auflaufen. Gerade zu YB hat Schöbi eine besonders enge Beziehung. Im Nachwuchsbereich kennt er die Verantwortlichen persönlich und er gibt YB auch mal einen Tipp, wenn er irgendwo einen talentierten Junior entdeckt. Umso mehr Sorgen macht ihm deshalb die aktuelle Situation der Gelbschwarzen: «Ich versuche jedes Heimspiel von YB zu sehen und bin momentan natürlich gar nicht glücklich.» Für ihn liegt die Hauptursache der aktuellen Misere bei der Zusammensetzung der Mannschaft. Dort fehlen ihm die Führungsspieler, die Verantwortung übernehmen. «Bei YB gibt es zurzeit keine Persönlichkeiten, wie sie zum Beispiel GC mit Salatic hat.»

Wunschspieler Costanzo
Sein Verdikt zu den eigentlichen Leistungsträgern fällt deshalb brutal aus: «Farnerud ist einer der meist überschätzten Spieler der Liga, Nef fehlt die Antrittsgeschwindigkeit und Costanzo ist nie richtig in Bern angekommen.» Dass die YB-Spieler aber eigentlich Fussball spielen können oder es mindestens konnten weiss natürlich auch Schöbi und fügt mit einem Lächeln an: «Martinez und Costanzo sähe ich gerne bei uns.» Schöbi glaubt aber auch, dass der Neuanfang mit Fredy Bickel gelingen könnte. Tauschen möchte er mit Bickel aber trotzdem um keinen Preis: «Als Sportchef im Profifussball musst du knallhart sein. Das wäre nichts für mich.» 1400 Meter Distanz können halt manchmal auch unendlich weit sein.

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