Videobeweis – nicht alles Gold was glänzt!

Schiri“ ist ein junger und ambitionierter Schiedsrichter aus der Region. Er wird uns in regelmässigen Abständen Anekdoten aus der Welt der Regionalfussball-Schiris berichten und wird unklare Referee-Entscheidungen aus der grossen Fussball-Welt aufschlüsseln.

Nicht ganz unerwartet verstärken sich die Bedürfnisse der Fans, den Fussball mit einer weiteren technischen Unterstützung zu versehen und den Schiedsrichter stärker zu unterstützen. Denken wir zurück: früher war in der Mitte ein Mann in schwarz, der mit einer Trillerpfeife und zwei Linienrichtern mit Holzfahnen ohne Karten auf dem Platz rumrannte. Heute tragen die Schiris unterschiedlichste Farben, haben gelbe und rote Karten dabei, wenn ein Schiedsrichterassistent etwas sieht, ruft er es in ein Mikrofon, drückt auf der Fahne und der Schiri hört es und spürt es am Arm. Die Frage lautet nun: ist der Videobeweis ein sinnvolles Hilfsmittel?
Zuerst möchte ich mich vom Argument der Fussball-Romantiker (gleichzeitig Videobeweis-Gegner) distanzieren, wonach der Videobeweis böse ist, weil er ein 150 Jahre altes Regelwerk von Grund auf reformieren will oder das Fussballspiel gar zerstören könnte. Ich bin nicht gegen den Videobeweis, weil ich Neuerungen nicht befürworte. Obwohl das Fussballreglement als relativ starr betrachtet werden kann, hat dieses immer wieder einschneidende und sinnvolle Anpassungen gekannt, die von zeitgenössischen Standpunkten inspiriert waren. So wurden Ende des 19. Jahrhunderts Bäume und Sträucher von den Spielfeldern verbannt, weil der Rasenmäher erfunden wurde – oder Ende des 20. Jahrhunderts der Rückpass an den Torhüter verboten, weil diese Regel nicht mehr der aktuellen Spielphilosophie entsprach. Heute reden wir vom Aluminiumtreffer, während früher Tore aus Holz auf den Naturrasen gestellt wurden, als YB-Fans wisst ihr bestens, dass heute nicht mehr überall Gras gefressen wird.

Nur eine Regelkonstellation hat in der Geschichte des Fussballs eine konstante Ablehnung einer Regelanpassung gekannt: der Einbezug des Videobeweises. Dies liegt wohl vor allem daran, dass zur Einführung des Videobeweises gleich mehrere Regeln angepasst werden müssten, was wie schon eingangs angedeutet, bei den Nostalgikern des verantwortlichen FIFA-Regelboards nicht auf grosse Gegenliebe stösst.
Es stehen sich in der Debatte philosophische und ökonomische Betrachtungsweisen gegenüber. Auf der Höhe der Zeit stütze ich meine Meinung vor allem auf Effizienz-orientierte Kriterien und komme zum Schluss, dass die Effizienz der Schiedsrichter-Entscheidung (also ein 100% richtiger Entscheid) nur bei Torsituationen, nicht aber bei Tatsachenentscheiden im laufenden Spiel (Foul, Abseits etc.) gesichert werden kann. Daher spreche ich mich für einen Einbezug technischer Hilfsmittel ausschliesslich zur Beurteilung von Torsituationen (hat der Ball die Torlinie in vollem Umfang überschritten?) aus.
Die wichtigste Frage für mich ist: kann mit dem Videobeweis eine effiziente Beurteilung der Spielsituation erreicht werden? Also: kann jegliches Fehlerpotenzial der Beurteilung eliminiert werden?

Was die Beurteilung von Tor/nicht-Tor Situationen (hat der Ball die Torlinie mit vollem Umfang überschritten?) anbelangt, bin ich der Überzeugung, dass mit dem Videobeweis eine absolute Sicherheit erreicht werden kann. Die allerneusten grafischen Darstellungen wie 3D-Analysen erlauben eine sehr präzise Aufschlüsselung der Torsituation. Auch aus der philosophischen Position ist die Sicherheit der richtigen Anerkennung des Torerfolgs unbedingt nötig, schliesslich kann im Fussball eine einzelne Torsituation spielentscheidend sein. Obwohl das Spiel zur Beurteilung der Videobilder zweifelsohne ein paar Minuten lang unterbrochen würde, ist der Mehrwert des Videobeweises klar gegeben. Die verlorene Zeit kann am Ende der Halbzeit nachgespielt werden oder gestoppt werden. Zudem sind solche knappen Torsituationen auch im modernen Fussball nach wie vor selten. Dem Videobeweis zur Aufschlüsselung von umstrittenen Torsituationen ist also zuzustimmen.

Die Anwendung des Videobeweises wird jedoch über alle Tatsachenentscheidungen des Schiedsrichters gefordert, notabene wiederum über die spielentscheidenden Szenen wie Penaltysituationen, Abseitsentscheide und Unsportlichkeiten. Erlaubt die Anwendung des Videobeweises eine unfehlbare Beurteilung solcher Spielsituationen? NEIN. Trotz Einbezug der Videobilder wäre die Beurteilung dieser Spielszenen nach wie vor subjektiv. Team A und Team B nähmen bei der Entscheidungsfindung nach der Betrachtung der Videobilder zu Penaltyszenen oder Abseitssituationen mit hoher Wahrscheinlichkeit entgegen gesetzte Positionen ein, so dass letztendlich wiederum ein unabhängiger Schiedsrichter entscheiden müsste.

Nun kann man sich fragen, ob es sinnvoll ist, dem Schiedsrichter als alleinige Entscheidungsinstanz die Möglichkeit zu geben, zur sicheren Beurteilung einer Spielsituation die Videobilder zur Verfügung zu stellen? Folglich lägen dem Schiedsrichter die Videobilder aus allen möglichen Kamerawinkeln vor. Wiederum unter Berücksichtigung des Effizienzgedankens würde man aufgrund der Verfügbarkeit der Videobilder vom Schiedsrichter nun erwarten, einen unfehlbaren Entscheid zu treffen. Schliesslich ist es genau das, was mit dem Videobeweis erwirkt werden soll. Doch bei Tatsachenentscheiden wie Penaltysituationen und Abseitsentscheiden ist eine unfehlbare Entscheidung des Schiedsrichters trotz Videobilder nicht garantiert. Es besteht ein Restrisiko einer falschen Beurteilung. Schliesslich kommt es oft vor, dass eine Foulbeurteilung im Strafraum nicht von allen Kamerawinkeln den gleichen Schluss zulässt oder dass eine Abseitsentscheidung falsch ausfällt, wenn die Kamera nicht zentimetergenau auf der Abseitslinie installiert ist. Daher ist der Videobeweis für Tatsachenentscheidungen des Schiedsrichter aus meiner Sicht nicht anwendbar, weil er keine endgültige Sicherheit über die Entscheidung des Schiedsrichters zulässt, da die Spielsituationen trotz Videobilder interpretierbar bleiben (also anders als bei einem Tor/Nicht-Tor Entscheid).

Bester Beweis für die YB-Fans meiner Thesen sollte das Spitzenspiel gegen Basel sein. Es war faszinierend mit Baslern und Berner über zwei entscheidende Szenen des Spiels zu diskutieren: während viele Hauptstädter der Überzeugung sind, dass Streller nicht berührt wird, regen sich diverse Basler auf, dass Wölfli nicht rot sieht. Beim Tor zum 3:0 sind quasi alle Berner sicher, dass Offside gepfiffen werden sollte, die Basler aber finden, dass der Stürmer nicht eingreift. Klar, das sind Diskussionen mit gelb-schwarzen und rot-blauen Brillen, aber auch im Kreise meiner Schirikollegen wird kontrovers erörtert und richtig einig wird man sich nicht. Es sind diese klassischen Grauzonen-Entscheide, die schlicht in der Beurteilung des Schiris liegen. Was bringt ein Videobeweis in solchen Situationen? Nichts!

Last but not least zweifle ich an der Umsetzbarkeit in kleinen Stadien wie dem Communale, Brügglifeld oder auch einem Stadion wie dem Tourbillon, auch wenn ich wahrlich nicht aus dem technischen Bereich komme. Es kann aber nicht sein, dass Zürich, Basel oder YB einen Videobeweis haben und Bellinzona zu Hause darauf verzichten müsste.

Das Fussballreglement kennt nur 17 Regeln, insofern werden die Sachverhalte des Spiels relativ grob zusammengefasst. Eine dieser Regeln ist die Regel 10. Eigentlich wird in dieser Regel nicht viel geregelt, was nicht auch unter der Regel 9 „Ball in und aus dem Spiel“ hätte geregelt werden können, wenn es nicht um den spielentscheidende Sachverhalt gehen würde, nämlich „Wie ein Tor erzielt wird“. Dem Torerfolg widmet das Regelwerk also eine eigene Regel. Dies verdeutlicht den Stellenwert des Torerfolgs in unserem Sport und ist somit mit Videos zu unterstützen.

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